Medienwerkstatt-Wien

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Weinlese in der Wachau
Wachau
von Siegfried Mattl

Ausgangsmaterial für Manfred Neuwirths „Wachau“ ist der 1954 hergestellte Kulturfilm „Weinlese in der Wachau“. Buch und Gestaltung stammten von Clarissa Dreyer-Patrix. Patrix war seit Mitte der 1930er Jahre als Assistentin, später als Regisseurin für die Herbert Dreyer Produktion tätig. Für die Zeit vor 1945 werden ihr mindestens fünf Filme zugeschrieben, wovon „Kurenfischer“ auch für die „Reichswoche des Kulturfilms 1941“ nominiert worden war. In den 1950er Jahren drehte sie vier Filme, darunter den rund 14 minütigen Film über den Wachauer Weinbau. Die Dreyer-Produktion war - einer Aufstellung des britischen Dokumentarfilmers Arthur Elton zufolge, der sie seiner Regierung für die Herstellung deutscher Lehrfilme empfahl - spätestens 1947 von Berlin nach Düsseldorf übersiedelt.

Der Sitz der Dreyer-Produktion in Deutschland macht verständlich, warum „Weinlese in der Wachau“ nicht in die laufenden Verzeichnisse österreichischer Kultur- und Lehrfilme in Ludwig Geseks „Filmkunst“ aufgenommen worden ist. Eben diese Verzeichnisse hielten indes fest, wie sehr Niederösterreich im Kulturfilmschaffen gegenüber Westösterreich ins Hintertreffen geraten war. Ursächlich dafür war nicht nur der ökonomische Rückstand in Niederösterreich und der Aufschwung der Tourismusindustrie in Tirol und anderswo, sondern auch der Umstand, dass es hier keine „genuin“ filmischen Schauplätze gab - mit Ausnahme, eben, der Wachau, die geradezu ein Topos des österreichischen Heimatfilmes geworden war.(1)

„Weinlese in der Wachau“ sollte also vor einem doppelten Hintergrund gesehen werden: vor der Prominenz der Donaulandschaft zwischen Melk und Krems im österreichischen Nachkriegs-Spielfilm und vor dem zeitgenössischen Mangel an dokumentarischen Formaten zu diesem Raum. Dies gibt dem Film eine gestalterische Freiheit und räumt ihm eine lokale filmhistorische Sonderstellung ein.

Dramaturgisch entscheidet sich „Weinlese in der Wachau“ für ein chronotopisches Verfahren. Der Film setzt handlungslogisch ein mit dem 15. Juli, dem Tag der Bestellung der „Weinhüter“ in Dürnstein-Loiben, und endet mit dem Abbau der Wegzeichen, die das Betretungsverbot der Weingärten anzeigen. Alles Geschehen in den charakteristischen Steinterrassen wie im Ort - das Reifen des Weines, die Reinigung der Weinbutten, die Mostprobe, die Ernte, die erste Pressung - geht zwischen diesen Zeitmarkern vor sich. Die schroffe Landschaft der steindurchsetzten Weinhänge und die wettergegerbten Gesichter der alten Weinhüter zeigen eine Familienähnlichkeit, die keine klare Trennung zwischen Natur und Kultur zu ziehen erlaubt. Eine der von Manfred Neuwirth für seine Überarbeitung gewählten Einstellungen - ein Weinhüter in Halbtotaler inmitten üppigen Rankenwerks - erinnert überdeutlich an die bukolischen Motive barocker Darstellungen des mythologischen „Goldenen Zeitalters“, die im Film anklingen.

Man braucht nicht hervorzuheben wie dieses Raumbild sich zur Wirklichkeit verhielt, zu einer von Tourismus und Wein-Marketing seit Jahrzehnten imprägnierten Ökonomie und Ökologie. (Ein offenkundig verschollener Werbefilm aus 1955 stellte eben die aus ERP-Krediten finanzierte Modernisierung und Mechanisierung des Kellereibetriebes der Winzergenossenschaft Wachau ins Zentrum. (2)) Viel mehr erregt unser Staunen die Konsequenz mit der Dreyer-Patrix jeden Anschein von Modernisierung bis hinein in die Materialität der Kellerwirtschaft aus dem Bild zu halten versteht. Holz, eine Messerschneide, ein Gewinde und verständige Hände genügen um jenes Gut herzustellen, dessen Wert sich schon in den Lichtreflexen der Trauben und des Stromes ankündigt. Keine Dampfschiffe befahren die Donau und auch keine Bahn durchquert die Landschaft. Allerdings kommt „Weinlese in der Wachau“ den Dingen nie so nahe, dass die Arbeit und die Arbeitsabläufe transparent und wägbar würden. Der Fokus des Films bleibt auf vermeintliches Brauchtum gerichtet, und hier noch enger auf die Institution der Weinhüter und der lokalen Symbole, die sie umgeben. Dem dienen auch inszenierte Szenen (wie verbotenes Naschen junger Mädchen an den reifen Trauben) und nicht motivierte Stimmungsbilder wie eine imaginäre musikalische Zwiesprache der alten Weinhüter, die ihre einfachen Flöten spielen. Der Hyper-Signifikanz der Bilder steht jedoch die Esoterik der Zeichen entgegen, die das Weinhüterwesen umgeben. (Hüterstern, Wermutsbuschen, Holzkreuze und anderes.) Deren Bedeutung muss deshalb von den Laiendarstellern ausgesprochen werden - ein in der von Dreyer-Patrix gewählten deklamierenden Form der Dialoge in dokumentarischen Formaten verpöntes Verfahren.

Eine - wenngleich bescheidene - Filmkarriere der Regisseurin im „Dritten Reich“ wirft den Schatten des Verdachts auf einen Kulturfilm wie „Weinlese in der Wachau“ und dessen Idylle. In den letzten Jahren allerdings hat eine Neubewertung des Filmschaffens unter dem Nationalsozialismus stattgefunden, die eine Fort- und Weiterentwicklung von filmästhetischen Avantgardismen auch unter dem NS-Regime konstatiert. Dabei bezieht man sich vor allem auf die Kameraarbeit etwa eines Willy Zielke und dessen neuen fotografischen Realismus. (3) „Fotografische“ Einstellung sind es auch, die in Dreyer-Patrix’ Film einen Unterschied ausmachen. Im Gegensatz zu den üblichen Panoramen und Schwenks der Tourismus-Filme bevorzugt sie lange ruhige Einstellungen mit äußerst exakter Kadrierung und starker Fokussierung. Sie fängt damit Gesten, Physiognomien und Bewegungen ein, die das Denken in eine andere Richtung lenken als in diejenige des Brauchtums. Doch das ist nur ein Potential, das so wie in der Arbeit Manfred Neuwirths erst aus dem Fluss der Bilder herausgesprengt werden muss.


(1) vgl. Monika Bernold: Filmische Repräsentationen und historische Medienkonstellationen von/in Niederösterreich, in: Oliver Kühschelm / Ernst Langthaler / Stefan Eminger (Hg.): Niederösterreich im 20. Jahrhundert. Bd. 3. Kultur, Wien / Köln / Weimar 2008, insb. S. 179 – 181

(2) vgl. Freie Weingärtner Wachau: Wachauer Weinkultur 1938 - 2008. Festschrift zur 70-jährigen Genossenschaft, Melk 2008, S. 60

(3) Vgl. Peter Zimmermann/ Kai Hoffmann (Hg.): Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland. Bd.3. „Drittes Reich“ 1933 - 1945, Stuttgart 2005, insb. S. 110 - 132

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